Gottesdienst für die Gefallenen der beiden Weltkriege

Im Freiheitskrieg unter dem tapferen Helden Judas Makkabäus waren zahlreiche Soldaten gefallen. Da veranstaltete der tapfere Held – wie uns die Hl. Schrift im 2 Makk 12,43-46 berichtet – eine Sammlung; er sandte 12.000 Drachmen Silber nach Jerusalem, damit dort im Tempel ein Sühnopfer für die Verstorbenen dargebracht werde; er dachte nämlich gut und fromm über die Auferstehung. Denn hätte er nicht gehofft, dass die Gefallenen auferstehen werden, so schiene es ja überflüssig und sinnlos, für die Verstorbenen (Opfer darzubringen und für sie) zu beten. Auch dachte er, dass eine sehr große Gnade denen vorbehalten sei, die in Frömmigkeit entschlafen sind. Es ist also ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie erlöst werden von ihren Sünden.

Ganz in diesem Sinn hält der Anifer Kameradschaftsbund jedes Jahr um Allerseelen seinen Gedenkgottesdienst für die Gefallenen der beiden Weltkriege. Auch da gilt das Wort der Hl. Schrift: „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten!“

Denn die gefallenen Soldaten unserer Heimat verdienten sich durch ihren Tod unser dankbares, treues Gedenken. Damals, als die Nachricht in die Heimat kam, dass der und jener gefallen war, hieß es: Lieber Sohn, lieber Bruder, lieber Mann, lieber Freund, wir vergessen dich nicht! Aber wie leicht und schnell legt sich doch die Nacht des Vergessens über die Gräber unserer Toten, gerade auch über die fernen Gräber unserer Gefallenen! Schließlich ist es schon 54 Jahre her seit der I. Weltkrieg zu Ende ging und 27 Jahre seit der II. Weltkrieg sein tragisches Ende fand. Und das Leben ging weiter, die Not der Nachkriegszeit, die Sorgen des Wiederaufbaus der Heimat und nun der erlange Wohlstand, alles ist dazu angetan, das Andenken an die Toten in den Hintergrund treten und verblassen zu lassen. Zwar versprechen wir Menschen unseren Verstorbenen immer ein dauerndes, bleibendes, dankbares Gedenken. Doch größer als unser guter Wille ist eben doch die Macht des Alltags, der uns ablenkt. Darum brauchen wir alle von Zeit zu Zeit solche Gedenktage, die uns neu aufrütteln und uns an die heiligen Pflichten der Pietät erinnern, die wir denen gegenüber haben, die ihr Leben in treuer Pflichterfüllung allzu früh opfern mussten. Christus hat gesagt: „Größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde!“

Wir denken bei diesem Wort an unsere Gefallenen. Wir denken an sie aber bei der Gegenwärtigsetzung jenes Opfers, das der gebracht hat, von dem es in letzter Wirklichkeit zutrifft, dass er aus lauter Liebe sein Leben hingab für uns: unser Herr und Heiland Jesus Christus!

Und wenn wir uns bei der Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers Jesu Christi an unsere gefallenen Soldaten erinnern, so wollen wir uns zu allererst an unseren für unsere Sünden geopferten Heiland erinnern und zu ihm aufschauen mit den Augen eines Soldaten, der unter dem Kreuze stand und nach dem heldenhaften, ganz selbstlosen Sterben des gekreuzigten Herrn sein Glaubensbekenntnis ablegte mit den Worten: „Wahrlich, dieser Mann war ein Gerechter, dieser Mann war Gottes Sohn!“ (Lk 23,47 u. Mk 15,39)

Wie kam es zu diesem Glaubensbekenntnis des heidnischen röm. Hauptmanns unter dem Kreuze? Jesus war von Pilatus zum Tod am Schandholz des Kreuzes verurteilt worden. Die Ausführung dieses Befehls war dem Hauptmann als dem Offizier vom Dienst übertragen worden. Ihm wurde Jesus übergeben. Er haftete für die genaue Ausführung des Urteils. Er sollte Jesus unter militärischem Geleit von der Pilatus-Kaserne zur Schädelstätte führen, den Vollzug des Todesurteils überwachen und danach Meldung erstatten (Mk 15,44-45). Das war ohne Zweifel kein angenehmer Dienst. Zumal nicht in den unruhigen Ostertagen damals, wo die Gemüter aufs höchste erhitzt, gereizt, gespannt und geladen waren. Konnte es damals nicht jeden Augenblick zu peinlichen Zwischenfällen und Ausschreitungen kommen? War nicht eventuell auch mit einem etwaigen Befreiungsversuch der Freunde des zum Tod Verurteilten zu rechnen? Tausendmal lieber wäre der Hauptmann in eine ehrliche, offene Schlacht gezogen, als diesen Henkerzug zu begleiten. Aber Befehl ist Befehl und Dienst ist Dienst, so mag er gedacht haben. Und in solcher Situation kannte ein römischer Soldat nur eine Lösung: Pflichterfüllung bis zum äußersten. Deshalb: den Stahlpanzer geschnürt, den Helm aufgesetzt, das Schwert umgegürtet, die Lanze geschultert! Die drei Kreuzträger in die Mitte genommen und hin zur Richtstätte auf Golgotha! So setzte sich denn der Armsünderzug in Bewegung. Mitten durch die fanatisierte, verhetzte Menge, durch den gaffenden, rasenden Pöbel, an johlenden Gassenjungen und geifernden Schriftgelehrten und Pharisäern vorbei. Unter der militärischen Deckung des Hauptmanns betrag Jesus den Kreuzweg. Unter Führung des Hauptmanns! So schien es wenigstens von außen her. Aber von innen her betrachtet geriet der Hauptmann mehr und mehr unter die Führung Jesu, unter die Führung der Gnade. Denn der Hauptmann sah, wie die Feinde Jesu ihm voll Hass und Bosheit die größten Gemeinheiten antaten. Aber merkwürdig, dieser Jesus zeigte inmitten der Anfeindungen des Hohngeschreis nicht die geringste Spur von Verwirrung, er blieb ganz ruhig und gefasst, fast schien es dem Hauptmann, als wandle dieser Jesus in Höhen, zu denen der Wirbel der Erregung und Verwirrung und der Hass der Feinde gar nicht heranreichte. Nie in seinem Leben hatte der Hauptmann, er war Heide, eine so friedvolle, ausgeglichene Persönlichkeit gesehen. Er sah, wie sich Jesus voller Schmerzen, die Lippen fieberhaft verbrannt, die Schläfen von der Dornenkrone zerrissen, das Haupt voll Blut und Wunden, auf dem holprigen Weg nur mit dem Aufwand der letzten Kraft mühsam weiterschleppte. Er hörte, wie er unter dem Kreuz keuchte, sah jetzt auch, wie er zu wanken begann und schließlich erschöpft zusammenbrach. Unter dem stahlharten Panzer des kampferprobten Offiziers regte sich ein Mitgefühl. Deshalb zog er kurzerhand einen Bauern, der dem Zug begegnete, zur Hilfeleistung heran. Ihn nötigte er, Jesus das Kreuz eine Strecke weit zu tragen. Endlich waren sie an der Hinrichtungsstätte angelangt. Auch hier zeigte dieser Jesus die gleiche heroische Haltung. Gerade die Tapferkeit, mit der er all die Leiden und Misshandlungen ertrug, machte auf den Hauptmann einen mächtigen, unwiderstehlichen Eindruck, war er es doch gewohnt, alles mit dem Maßstab der Tapferkeit zu messen. Er sah, wie Jesus willig dem Henker die Hände zur Annagelung darbot. Dem Kreuze gegenüberstehend hörte der Hauptmann dann die sieben letzten Worte vorm Kreuz herab, Worte der Liebe, des Verzeihens, der Ergebung... Nein, bis jetzt hatte noch niemand dem Hauptmann gesagt, dass er ein Gefühlsmensch sei. Er hatte schon manchen auf den Schlachtfeldern sterben gesehen, schon manches Hinrichtungskommando begleitet. Aber so wie dieser Jesus v. N. war noch keiner gestorben. Die anderen, die der Hauptmann bisher sterben gesehen hatte, hatten ihre Peiniger verflucht und verwünscht. Jesus aber verzieh ihnen und betete sogar für sie. Die anderen starben umdüstert von den Schatten der Hölle und der Verzweiflung. Dieser Jesus aber gab seinen Geist auf, umleuchtet vom Strahl des Paradieses. Die anderen waren in ihren Todesqualen zerbrochen und verzweifelt. Dieser Jesus aber blieb auch im Meer der Schmerzen ungebrochen. Mit gewaltiger Stimme empfahl er sich in die Hände seines Vaters: „Vater, in diene Hände empfehle ich meinen Geist!“ Und sein Abschiedsruf war zuletzt ein Siegesruf: „Es ist vollbracht!“ Und dieser Siegesruf war es dann, der den Hauptmann zusammen mit all dem anderen, was er an diesem Jesus beobachtet und erlebt hatte, zutiefst erschütterte; und als dann gar im Augenblick des Todes Jesu die Erde erbebte, die Felsen sich spalteten, die Gräber sich öffneten und die Sonne sich verfinsterte, da wurde der Hauptmann, geführt von der Gnade Gottes, zum Glauben gebracht, den er sogleich auch mutig aussprach und bekannte: „Wahrlich, dieser Mann war eine Gerechter, er war der Sohn Gottes!“

Ja, so hat die Gnade Gottes einen Soldaten, einen Offizier mitten in der Ausübung seines Dienstes zum Glaubensbekenntnis und zur Jüngerschaft des Gekreuzigten geführt. Er war nach dem Tode Jesu der erste, an dem sich das prophetische Wort des Heilands erfüllte: „Wenn ich von der Erde erhöht sein werde, werde ich alles an mich ziehen!“

Dieser Hauptmann, dieser erste zum Christentum bekehrte Heide und erste Christ unter den Soldaten, könnte uns mit seinem mutig gesprochenen Glaubensbekenntnis, in welchem er Christus als den Sohn Gottes bekannte, Vorbild sein! Mitten im Trommelfeuer der Hohnrufe und des Spottgeschreis der Pharisäer gegen Jesus sprach der Hauptmann furchtlos sein Credo. Es ist leicht, sich zu einem siegreichen König zu bekennen, es ist leicht, sich zu Christus zu bekennen im sonntäglichen Hochamt in der Pfarrkirche oder bei einer festlichen Kundgebung, aber es ist schwer, so wie dieser Hauptmann unter dem Kreuze, zu einem Ausgestoßenen am Schandpfahl, zu einem zum Tod Verurteilten und Geschmähten zu stehen. Schwer ist es, sich zu Christus zu bekennen auf dem Arbeitsplatz, wo man über die christliche Religion spottet, schwer ist es, sich zu Christus zu bekennen in einer Gesellschaft, wo man Jesus, den Menschensohn und die von ihm gegründete Kirche verhöhnt, wie es der Spiegelherausgeber Augstein neuestens tut in seinem beschämenden Pamphlet „Jesus Menschensohn“. Aber lassen wir uns nicht einschüchtern und in unserem Christusglauben erschüttern, denken wir an den Hauptmann unter dem Kreuz, der ein glaubensmutiger Bekenner des gekreuzigten geworden ist. Wie er wollen auch wir unser Urteil nicht von der gedankenlosen, wankenden, schwankenden Masse und von den Massenmedien abhängig machen, sondern uns selbständig ein Urteil und unsere religiöse Überzeugung bilden und dann auch furchtlos dafür eintreten, wie es viele unserer gefallenen Kameraden getan haben. Ich denke da an die vielen, vielen, denen ich als Lazarettpfarrer die letzte Beichte abgenommen, die letzte hl. Kommunion gereicht und die dann in diesem mutigen Bekenntnis ihres christlichen Glaubens ihr junges Leben hingeopfert haben mit gleichen oder ähnlichen Worten wie der gekreuzigte Heiland: „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist!“

Wir aber wollen jetzt unsere gefallenen Kameraden der Barmherzigkeit Gottes empfehlen und uns selber der Gnade Gottes, damit auch wir einmal in unserer letzten Stunde, gestärkt durch die Gnadenmittel der Kirche, ein Leben aus dem Glauben in der rechten Gottes- und Nächstenliebe so beschließen können, dass es den von Gott verheißenen Lohn zu empfangen verdient. Amen